Leseprobe

 

Immer rascher eilt das Leben,
Zukunft wird Vergangenheit.
Heut zum Gestern, kaum begriffen
Wird die Zeit zur Ewigkeit.
Carl Schell


Im Garten Eden


Die Sonne steht hoch am Himmel. Es ist angenehm warm. Ein leichter Wind weht von Süden. Er bringt ein wenig Kühlung und den schweren Duft von Blüten aus fernen Ländern, die ich noch nicht gesehen habe. Fächer von Palmwedeln singen, wenn der Wind leicht über die schmalen Blattsegmente streicht. Ein zarter, melodischer Klang inmitten einer Oase der Ruhe und des Friedens.
Mir gegenüber sitzt Carl Schell, ein Mitglied der bekannten Schauspielerdynastie des 20. Jahrhunderts und seine Gattin Stella Mooney, auch eine erfolgreiche Schauspielerin.
In seinem Garten, der als Naturschutzpark angelegt, und über 4000 qm groß ist, sitzen wir im Schatten, den eine Dattelpalme spendet. Sie stammt, wie ich später erfahre, aus Algerien und ist männlich. Der Baum ist in gewisser Weise eine historische Besonderheit. Die erste bildliche Palmendarstellung auf einer Silberschale aus dem Jahr 2700 v. Chr. aus Phönizien stellt diesen Palmentyp dar.
Gebannt lausche ich dem singenden Rauschen des Windes und genieße es. Zu unseren Füßen plätschert ein künstlich angelegter See, in dessen kristallklarem Wasser sich der azurblaue Himmel und die Sonnenstrahlen glitzernd spiegeln. Weiter entfernt auf der anderen Seite des Parks, steht eine kleine Almhütte unter hohen, gesunden Tannen und Fichten aus Kärnten.
Wir befinden uns in dem von Carl Schell selbst angelegten und gepflegten Parkgarten, der in dieser Form etwas Besonderes darstellt. Die Fauna aller Länder der Erde umgibt uns, gesammelt und wieder angepflanzt an steilen Hängen hoch über den Dächern von Brissago im Tessin.
Carl Schell hat die Anlage nicht willkürlich zusammengestellt, der ganze Garten ist in drei Klimazonen eingeteilt, die fließend ineinander übergehen. Brasilien ist ebenso vertreten wie Asien, Südafrika, Neuseeland oder Europa. Von jedem Land, welches er besuchte, brachte er Pflanzen und Samen für seinen Garten mit.
Im Norden dieses Parks wachsen Bäume und Sträucher, die Kälte vertragen, in der Mitte ist die Mittelmeerflora plaziert und im südlichen Teil die tropischen Gewächse. Die drei optisch so geschaffenen Klimazonen reichen von den Pinien bis zu den Palmen, vom Edelweiß bis zur Bougainvillea. Allerdings haben die Palmen den Vorrang erhalten.
Im Kärnter Teil des sonnendurchfluteten Gartens steht eine verträumte, kleine Berghütte, die an die Alm erinnert, auf der er seine Kindheit verlebte. Hier sorgt nicht nur ein kleiner Pinienwald für Schatten, sondern auch eine Lärche aus den heimatlichen Gefilden Österreichs, die direkt neben einer sibirischen Kiefer ihren Platz behauptet. Vom Inneren der Hütte schaut man direkt auf eine kleine Fichte, mit der Carl Schell öfter spricht als mit den anderen Pflanzen. Nur seine besten Freunde wissen, warum: Sie stammt von dem Platz, an dem seine Mutter die letzte Ruhe fand.
Hinüber geht der Blick, über die unvorstellbare Vielfalt von leuchtenden Farben der zahllosen Blüten, zu dem See und der großen imposanten Mauer, die den Berg vor einem weiteren Bergrutsch schützen soll, wie er sich vor Jahren ereignet hat. Das alles schuf er mit selbst verdientem Geld.
Aus einer dornenbesetzten Brombeerwüste, die sich früher hier erstreckte, entstand in mühseliger Kleinarbeit dieser großzügig angelegte Park. Ein bekannter Journalist stellt in einem Fernsehbericht sachlich fest:
"Wenn man den Garten heute sieht, vermag man sich kaum vorzustellen, wie es hier früher einmal aussah. Im Februar, wenn das Frühjahr noch nicht begonnen hat, verwandelt sich die Landschaft in ein Blütenmeer, welches bis zum späten Herbst den Hang über dem See in immer anderen Farben erstrahlen läßt."
Carl Schell hat sich den Traum seines Lebens von der Erhaltung der Natur erfüllt.
Mir fällt sein Ausspruch ein: "Unser Planet kann ohne Menschen leben, aber nicht ohne Pflanzen."
Worte eines bedeutenden Europäers, Worte von Carl Schell...
Carl Schell hat mit prachtvoll blühenden Pflanzen unter Palmen, die in friedlicher Gemeinschaft mit vielen anderen Bäumen aus fernen Ländern wachsen, eine Symphonie vom Garten Eden komponiert, die dem Betrachter das Gefühl der wahren Freiheit vermitteln. Das Klopfen eines Spechts dort drüben aus "Kärnten", klingt wie der Taktschlag dieser Komposition. Mir scheint es eine der letzten Inseln einer heilen, intakten Welt zu sein. -
50 m unter uns liegt im leichten Dunst der Lago Maggiore. Gedämpft dringen die Geräusche vom See an mein Ohr und mischen sich harmonisch mit dem heiteren Zwitschern der Vögel, die in diesem Paradies zu Hause sind. Die Welt des Carl Schell Noe von Nordberg. Das Werk eines Mannes, der überall auf der Welt zu Hause ist.
Am Ufer des künstlichen Sees spielt Caroline, die jüngste Tochter der Familie, mit ihrer Angorakatze, die erstaunlich zutraulich ist, mich jedoch mit ernster, fast mürrischer Miene mustert, bevor sie sich wieder dem Spiel mit der sechzehnjährigen Tochter zuwendet.
Während ich mich auf einer Parkbank niederlasse, denke ich an die Worte von Carl Schells Schwester Maria, die in ihrem Buch vom gemeinsamen Leben berichtet, als sie beide noch Kinder waren:
"Jedes der vier Sprößlinge bekam zu Hause ein etwa vier Quadratmeter großes Gärtchen - natürlich mit Zaun, Tür und Schlüssel. Wir durften pflanzen, was wir wollten, hatten eigene Radieschen und Erdbeeren. In meinem Gärtchen wuchsen Blumen und ein Kirschbäumchen, das heute noch lebt. Carls Garten war immer ein bißchen verwildert."- Ende des Zitats.
Vielleicht reichten Carl Schell die vier Quadratmeter nicht aus, um seine Vorstellung von Freiheit und Schönheit der Natur verwirklichen zu können.
"Die Grenzen," wird er später sagen, "der Zaun, die Tür und vor allem das Schloß daran, das hat mein Denken behindert. In mir brannte immer die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer, verbunden mit einem großartigen Beruf und dem harten aber schönen Leben auf den Brettern, die die Welt bedeuten."-
"Diesen Garten möchte ich der Nachwelt überlassen," sagte er bei unserem ersten Treffen zu mir, "für alle Menschen, die unsere inzwischen geschändete Natur ebenso lieben wie ich. Von dieser Stelle aus gehen meine Gedanken in die Vergangenheit und in die Zukunft und wandern um den Erdball, woher alle diese Pflanzen stammen, zu denen ich etwas wie körperliche Liebe verspüre. Hierin spiegelt sich ein Teil meines Lebens wieder, wie ich es erlebt habe – eine schöne Welt - und die Verbindung zu allen anderen Schöpfungen. Diese Welt habe ich genossen, solange ich unterwegs war.
Wenn ich den Atlantik überqueren mußte, weil ich in den Vereinigten Staaten einen Film drehte, buchte ich lieber eine Schiffspassage, als daß ich geflogen wäre, und nahm mir die Zeit, die Überfahrt mit dem Schiff zu genießen. So wurde einmal eine Weltumrundung mein schönstes Abenteuer, von dem ich heute noch zehre. Wenn man mich fragt, warum ich soviel Zeit vergeude, obwohl ich noch viele andere Angebote hatte, lag die Antwort auf der Hand: Alle diese Projekte hatte ich zurückgestellt, um die Seereise zu erleben. Meinen Freunden, die mich oft nicht verstanden, habe ich gesagt: Ich bin um die Welt gereist, weil ich den Film drehen wollte, das ist richtig, aber das war nicht der einzige Grund. Die Reise selbst war für mich meist der größere Gewinn.
Darum habe ich oft ein "Around the World Ticket" genommen. So wuchs in mir die enge Verbindung mit der Natur, den Weltmeeren, den Ländern und dem weiten blauen Himmel darüber, der nachts schwarzblau ist, mit vielen tausend funkelnden Brillanten verziert.
Verstehen Sie, warum ich diese unsere Erde so liebe? Eine Nacht auf hoher See unter dem funkelnden Sternenhimmel ist unheimlich schön. Wenn ich dann an Deck lag und die Pracht über mir betrachtete, rings herum das schier unendliche Meer, verstand ich die Menschen nicht, die sich selbst für so wichtig halten. Heute liebe ich nur noch zwei Dinge, meine Familie und die Schweiz, das Land welches für uns die Zuflucht und teure Heimat wurde. Ich würde diesen Platz nicht gegen den schönsten Bungalow in LA tauschen.-"
Carl Schells braune Augen blicken mich freundlich an. Mir kommt es vor, als folge er meinen Gedanken. Seine Haare hängen ungehindert, scheinbar ungeordnet, in die steile Stirn und runden ein kantiges Gesicht nach oben weich ab. Dabei fällt mir auf, daß er die Arme einfach auf die Lehnen seines Sessels gelegt hat. Sein Selbstvertrauen und das Wissen um seine Ausstrahlung ist überzeugend. Er spielt heute seine größte und seine schönste Rolle: Sich selbst - in der Geschichte seines Lebens.
Dann bricht er das Schweigen. Die volle männliche Stimme beginnt mich einzuhüllen, während seinen Mund ein Lächeln umspielt.
"Eine Biographie wollen Sie schreiben? Von mir und meiner Familie? Sind Sie sicher, daß Sie bei dem richtigen Schell sitzen?"
Sein verschmitztes Schmunzeln ruft rings um seine Augen kleine Lachfältchen hervor.
"Wollen Sie nicht lieber ein Buch über Palmen am Lago Maggiore schreiben? Palmen sind doch etwas Wunderbares, finden Sie nicht auch?"
Während sein Blick an den schlanken Stämmen der eleganten Bäume nach oben geht, empfinde ich diese tiefe Bescheidenheit, die von ihm ausgeht. Mich beschleicht wieder das gleiche Gefühl, wie vor einigen Stunden, als ich in Brissago am Lago Maggiore eintraf. Ich habe mehrere Menschen gefragt, ob sie mir sagen könnten, wo der Schauspieler, Entertainer, Regisseur, Drehbuchautor usw. Carl Schell wohne. Keiner wußte es, jeder kannte ihn aus Filmen und von der Bühne, aber wo er wohnte, wußte man nicht. Nicht einmal an der Tankstelle, wo er immer sein Benzin tankt.
Carl Schell schaut mich an. Seine Augen lachen:
"Machen wir es doch einfach so: Ich nenne Sie Inka, und Sie sagen ganz einfach Carl zu mir, einverstanden?"
Ja, ich war einverstanden. Doch eine kurze Unterbrechung gab es noch. Der Herr des Hauses hatte eine Katastrophe entdeckt. Ein Marienkäfer war auf dem Boden notgelandet. Nun lag das kleine Tier hilflos auf dem Rücken und strampelte verzweifelt mit seinen kurzen Beinchen. Vorsichtig ließ er ihn auf seinen Zeigefinger krabbeln.
"Hast den Landeanflug verpatzt, was? Mußt wohl noch oft üben," sagte er liebevoll und wandte sich dann wieder mir zu:
"Ich bitte um Entschuldigung, da hatte ein Tier SOS gefunkt. Und gerade die Kleinen brauchen unsere Hilfe!"
Carl Schell betrachtete den winzig kleinen Käfer, welcher auf der Spitze seines Zeigefingers Platz genommen hatte. Plötzlich, mit einem Ruck öffnet das Tier die Flügel, um nach dem Bruchteil einer Sekunde abzuheben und im Blütenmeer zu verschwinden. Lächelnd schaute er ihm nach, bevor er sich dem Geschehen wieder zuwandte.
"Das ist auch eine Mahnung, die mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben hat: "Beachte stets die kleinen Dinge im Leben und behüte die Schwachen."
Der Künstler schüttelte den Kopf:
"Seltsam, daß man so etwas nie mehr vergißt."
Nach dieser sympathischen Geste lehnte er sich wieder in seinem Sessel zurück, blickte zu Caroline hinüber und fuhr fort: